Beiträge vom Mai, 2009

Larch Mountain I

Sonntag, 10. Mai 2009 23:47

Ich habe den verdammten Jetlag unterschätzt. Freitag früh raus, sehr früh, produktiv sein, Mittagsspaziergang, abfallende Aufmerksamkeitskurve und ab in den Dämmerzustand mit fliegendem Wechsel in Richtung Tiefschlaf. Herrje. Trotzdem, teilweise mit Hilfe des wissenschaftlichen Betreuerstabs back home kann ich ein paar Punkte abarbeiten.

Gestern schiele ich aus meinem nachmittäglichen Dämmerzustand zur Karte und entdecke dort Larch Mountain, einen längst erloschenen Vulkan, und wäre ich physischer Geograph, folgten jetzt hier drei Absätze dazu. Der bin ich aber nicht. Jedenfalls ist Larch Mountain angenehm hoch (1238 m) und der vergleichende Blick auf Portland offenbart mir, daß das eine Differenz von 1223 Höhenmetern ergibt. Gut, ich sitze etwas auf dem Hügel, lassen wir es 1200 m sein. Auf der Karte sieht er verdammt nah aus, wie so oft in diesem Land. Ich verschätze mich hier ständig hinsichtlich Entfernungen, das weitgehend schachbrettartige Straßenmuster täuscht immer wieder Nähe vor und so sind es dann doch um die 60 km bis zum Gipfel. Eine asphaltierte Straße führt hinauf, das ist genau was ich brauche.

Nach Reifenwechsel, Frühstück, Anruf zu Hause, Anruf zu Hause II und einem kurzen Gespräch mit Familie Rehfeld lege ich los, Müdigkeit abschütteln, Körper durchpumpen, hinaus hinaus zum Marine Drive. Kurz vor dem Flughafen will ich dieses Bild machen. On. Off. On. Klappe auf. Der Akku liegt wohlig schlummernd im Ladegerät. Ich bin nicht mal wütend, ich lache über mich selbst und drehe um. Wer weiß, ob ich die Tour nochmal machen kann, Kamera muß mit. Als ich wieder los fahre ist es halb eins… Und der Marine Drive streckt sich. Ich überhole ein fahrendes Klischee (Kona Sutra, Brooks, Titec H-Bar) und Rennradfahrer allen Alters und Geschlechts spielen mit mir Sonntag. Irgendwann erreiche ich Troutdale, quere die Gleise und befinde mich an der Einfahrt zum Historic Columbia River Highway.

Schlagartig befinde ich mich in einer kleinen Schlucht zwischen Felsen und Wasserlauf, gespickt mit Ausflugslokalen und Häusern unter oregonischen Riesenbäumen. Das dauert nicht lang, ich verlasse die Schlucht und die Steigung beginnt. Stetig, nicht zu leugnen, moderat bis ordentlich. Und auch hier wieder: Schaue ich auf eine Karte, habe ich ein Bild. Eine Landschaft baut sich aus Signaturen auf und der Prozeß, wenn sich diese Scheinwelt in Realität übersetzt ist immer wieder spannend. Es sieht natürlich völlig anders aus.

Kleine Farmen, steile Ein- und Ausfahrten, sehr wellige Wiesen und lichte Waldstücke. Bis sich der Wald komplett zusammenzieht und ich einfach nur noch steige. Die Möglichkeit verschneiter Straßen hatte ich ignoriert (im letzten Jahr noch im Juni…), das geht ab einem bestimmten Punkt doch nicht mehr: Snow Zone – Traction Devices May Be Needed. Weiter, weiter, kleinster Gang, Wiegetritt, hinsetzen, trinken, Weste auf, prusten…das geht erstaunlich lang aber irgendwann ist Schluß. Neben einem anthroposophischen Volvo (Schleußig goes world) werfe ich Beef Jerky, Riegel und Gel ein, finde Wasser und lande nach Erholung an diesem hübschen Bauwerk:

Drunter durch, noch ein paar Kurven, Schnee neben der Straße, noch mehr Schnee…Schluß. Ein herbeieilender CR1-Pilot versichert mir, daß wir ca. zwei Meilen vor dem Gipfel stehen und ich frage mich, ob ich zum letzten Mal an dieser Stelle stehe. Ich denke nicht.

Also werfe ich mich in die Abfahrt und wundere mich während des Gleitens, wie weit ich mich doch hochgedrückt habe. Mein rechtes Knie signalisiert Anwesenheit und das wiederum wundert mich jetzt nicht mehr. Egal, ich biege anders ab und muß mir eine alternative Aussicht verschaffen, erwische wiederum den Historic Columbia River Highway und lande an Crown Point, einem wirklich großartigen Aussichtspunkt über dem Fluß.

Der Blick geht in Richtung der Columbia River Gorge, Elbtal ist definitv anders. Rechts: Larch Mountain. Ich muß bis kurz unterhalb der linken (nördlichen) Schulter unterwegs gewesen sein. In Richtung Portland öffnet sich das Tal und fast noch besser ist kurz darauf der Blick vom Chanticleer Point.

Danach geht es endgültig wieder nach unten, der Heimweg ist weit und mein Knie meldet sich zunehmend. Die letzten 25 Meilen sind wirklich nicht besonders lustig, ich schleiche am Flughafen vorbei durch North East Portland, esse vor einer Kirche Eis und sehne mich zu den Katzentieren. Bei denen angekommen verfolge ich mich samt aller Umwege auf GoogleMaps, das waren doch über 145 km und somit eine erstklassige Trainingsausfahrt für kommenden Samstag. Wenn der wegen Kniefragen nichts wird haben wir ein Problem.

Neben dem ganzen Freizeitvergnügen werden natürlich auch noch andere Sachen geplant. Mein Fragebogen zum Beispiel wird immer besser, und das muß er auch, wenn man sich mal fragt, wann man selbst zum letzten Mal einen solchen lustvoll ausgefüllt hat. Ich versuche so klar, präzise, verbindlich und diskret wie möglich zu sein. Ob das Ansinnen, hier mal eben im Rundumschlag die relevanten Produktionszahlen der lokalen Rahmenbauer zu erheben anmaßend ist, wird sich zeigen. Spannend find ich’s allemal, eigentlich wird es Zeit. Ich muß das selbst wissen und die eine oder andere dahinschlingernde Diskussion könnte wahrscheinlich auch mal ein paar Fakten vertragen.

Außerdem habe ich, wenn’s gut geht, am Dienstag einen ziemlich interessanten Termin.

So, mein Sonntag neigt sich seinem Ende entgegen und ich verbleibe mit einem betrübten:

In a bit:

G.

Thema: Allgemeines | Kommentare (3) | Autor:

meanwhile

Donnerstag, 7. Mai 2009 13:16

In der Zwischenzeit wurden erstmal einige Orientierungsfahrten unternommen. Es kommt mir zwar vor, als wäre ich erst gestern hier weggefahren, ich brauche trotzdem erstmal ein ungefähres Gefühl für den Raum, in dem ich mich hier bewege. Und da stellen wir fest: Diese Stadt ist ziemlich grün und diese Stadt ist ziemlich naß. Ich komme von hier…

…relativ zügig in die Stadt, Radwege gibt’s auch (und unten am Güterbahnhof vorbei bin ich auch recht froh drüber) und die Karte bleibt meistens verpackt, diverse GoogleMaps-Sitzungen in Leipzig zahlen sich aus.

Und dann ist man hier und dann soll es losgehen. Wie geht es eigentlich los? Natürlich wollte ich schon weiter sein, wollte in Leipzig sämtliche Grundlagenliteratur durchgefressen und Zeitpläne erstellt haben. Das hat nicht vollständig funktioniert. Wenn man vorher noch auszieht, ein Rad baut, feiert und nebenbei noch arbeitet klappt das (erfahrungsgemäß, und ich weiß es) doch nicht alles. Aber: Ich wollte ja loslegen.

Der Arbeitstitel meiner Untersuchung lautet: “Zum Zusammenhang von regionaler Geisteshaltung, Stadtentwicklung und der Entwicklung eines Fahrrad-Manufaktur-Clusters in Portland/Oregon.”

Nun wäre es ein leichtes (…), diesen dreistufigen Aufbau als (chronologisch abzuarbeitendes) Grundgerüst meiner Forschung vor Ort zu übernehmen, jedoch wäre das auch schon die erste Falle. Ich würde meine These – also die Existenz dieses Zusammenhangs – zwanghaft bestätigen müssen, da mir ja gar keine andere Wahl bliebe. Ich müßte in diesem Fall dem Rahmenbauer oder der Rahmenbauerin, die ich gegen Ende interviewen würde, sämtliche Anhaltspunkte dazu entlocken, inwiefern ihr Auftreten vor Ort auf einer zu definierenden regionalen Tradition basiert, durch wiederum zu benennende planerische Instrumente und politische Gegebenheiten begünstigt wird und hätte überhaupt keine Zeit mehr, eventuellen gegenläufigen Hinweisen oder von mir bisher nicht wahrgenommenen Zusammenhängen nachzugehen. Also brauche ich einen anderen, ergebnisoffeneren Zugang.

(Natürlich glaube ich an den beschriebenen Zusammenhang. Weiterhin und sowieso und natürlich ganz privat.)

Stürzen wir uns also offenen Auges in die völlig ergebnisoffene Forschung. Dazu werde ich ein paar “lokale Akteure” kontaktieren, mich bestenfalls mit ihnen treffen und mein Thema gleichermaßen schrankenlos offen wie messerscharf präzise diskutieren. Ich bin gespannt. Sollte niemand mit mir reden wollen, gehe ich radfahren.

Nebenbei und zur Verhinderung einer veritablen ergebnisoffenen Kopfschmerzattacke arbeite ich an einem Fragebogen, um im besten Fall eine quantitative Basis für meine Untersuchung zu schaffen. Heißt: Ich werde nach Möglichkeit von allen 27 ortsansässigen Custom-Rahmenbaubetrieben (siehe dazu Sidebar auf bikeportland.org, Bike Builders, beim letzten Durchzählen waren es noch 26) ein paar relevante grundlegende Daten erheben zu Firmengeschichte, Mitarbeiterzahl, Price Range, Stückzahlen, Kundenkreis… Schätzungen zum Gesamtausstoß an Rahmensets im Jahre 2008 werden ab sofort angenommen. Der Gewinner erhält einen formidablen Preis, den ich unter erheblichem Aufwand zu organisieren gedenke. Make your guess, everybody!

Gut. Damit habe ich erstmal zu tun. Der Wetterbericht für’s Wochenende sieht gut aus und ich überlege, wo es am Sonntag hingehen soll. Am Samstag ist übrigens, verehrter Herr Vater, National Train Day und ich werde sehen, ob ich ein paar Bilder machen kann.

Eine Anmerkung noch: Ich nehme das hier ziemlich ernst. Sollte ein anderer Eindruck entstehen, so liegt das ausschließlich an der intensiven Lektüre des BikeSnobNYC, über der ich gestern wohlig grinsend entschlummerte.

Und so verbleibe ich mit besten Grüßen und einem wunderbaren “Cattern”, welches zu dokumentieren mir Ralph & Earl gestern mittag freundlicherweise zugestanden.

In a bit:

G.

Thema: builders, Portland | Kommentare (3) | Autor:

about

Dienstag, 5. Mai 2009 23:15

Guten Morgen Abend, this is my blog.

Mich hat es gestern aus einer Lufthansa-Maschine gespült und ich befinde mich an einem unzweifelhaft regnerischen Ort. Ich werde mich hier in den nächsten drei Monaten herumtreiben, kundig machen, lesen, fotografieren, aufnehmen und Spirenzchen wie Heimweh weitestgehend vermeiden. Ich bin in Portland, Oregon, USA, und ich habe einen Auftrag:

“…coming from a town nearly as big as Portland, with one frame builder at all [...], made me look at Portland rubbing my eyes. Ever since I visited for two days in 2007 and going down Zoobomb on a wet but fantastic evening, Portland has been in my focus and I want to understand how – and why – things are going on there here, bikewise. My main interest is in the connection of the city’s history of the last 50 years and the rise of the framebuilding business. I want to look out for lifestyles, policies and decisions which contributed to making Portland one of the most-biked cities in the US.”

Das ist er, so ungefähr und dann doch etwas konfus dahingeworfen. Und was das alles zu bedeuten hat, klären wir später (ungefähr dann, wenn ich erfolgreich meinen Tag-Nacht-Rhythmus justiert habe).

Bis dahin die wahrscheinlich beste Karte, die ich je aus einem dieser Kostenlos-Ständer gefischt habe:

Do you read me, Frankyboy?

Demnächst also hier: Räder und Befindlichkeiten und Räder. Kommentare natürlich erwünscht.

G.

Thema: Portland | Kommentare (11) | Autor: